Gehörlosenpädagogik von 1800 - 1850
Gehörlosenpädagogik von 1800 - 1850 (Helmut Vogel, 2008)
Übersetzung
Zu Lebzeiten von Abbé de l’Epée finanzierte sich die Schule mit Ausnahme von gelegentlichen kleinen Geldspenden des französischen Königs aus Épées Privatvermögen. 1789, im Jahr der französischen Revolution, starb Épée. Nur zwei Jahre später, im Jahr 1791, wurde die Schule staatlich anerkannt. Das Schulgebäude ist auch heute noch sehr gut erhalten. Besonders beeindruckend sind die Ausmaße, die schon für damalige Zeiten ungewöhnlich groß waren. In anderen Städten waren die Schulgebäude, in denen gehörlose Kinder unterrichtet wurden, bedeutend kleiner. Wenn in solchen kleinen Schulen die Schülerzahl zu groß wurde, mussten die Schüler auf andere Schulen verteilt werden und so ggf. häufige Schulwechsel durchmachen. Dies war auf der Pariser Gehörlosenschule nicht notwendig, sie bot Platz genug. Als Nachfolger von Épée wurde Abbée Sicard zum Direktor der Pariser Gehörlosenschule ernannt. Er wurde unterstützt von einem gehörlosen Assistenten, Jean Massieu. Als erster gehörloser Lehrer an der Schule genoss Massieu bei den Kindern großen Respekt und die Kinder betrachteten ihn begeistert als ihr Vorbild. Auch nach der Amtszeit von Sicard und Massieu blieb die Pariser Gehörlosenschule ein lebhafter Ort der Gehörlosenbildung.
Auch in Deutschland wurden zu dieser Zeit ebenfalls einige gehörlose Lehrer an Gehörlosenschulen eingestellt, wie z.B. in Schleswig, Berlin und Leipzig.
An der Gehörlosenschule zu Leipzig wurde der gehörlose Lehrer Karl Teuscher beschäftigt. Er löste dort den lautsprachlich ausgerichteten Unterrichtsansatz durch seine „kombinierte Methode“ ab. Diese verknüpfte den Einsatz von Schriftsprache und Gebärdensprache im Unterricht.
Eine weitere herausragende Persönlichkeit war der gehörlose Lehrer Carl Wilke an der Berliner Gehörlosenschule. Wilke war dort über 50 Jahre im Schuldienst und genoss durch seinen anschaulichen Unterricht, in dem er auch mit selbst angefertigten methodischen Bildertafeln arbeitete, ein hohes Ansehen unter Kollegen. Durch die Entwicklung dieser moderner Tafeln wurde er zu einem Vorreiter für den anschaulichen Unterricht. An der Schleswiger Gehörlosenschule wurden die gehörlosen Lehrkräfte Margaretha Hüttmann, sowie Otto Friedrich Kruse beschäftigt. Kruse verfasste zahlreiche engagierte Schriften und setzte sich auch später vor dem Hintergrund des Mailänder Kongresses für den Einsatz von Gebärdensprache im Unterricht ein.
Wie im Vorigen deutlich wurde, war die Gehörlosenbildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer Methode keineswegs einheitlich. Die Verwendung von Schrift, gesprochener Lautsprache und Gebärdensprache wurde individuell ganz unterschiedlich zusammengesetzt. Teilweise variierte der jeweils praktizierte Unterrichtsansatz von Schule zu Schule.
Die Pariser Gehörlosenschule setzte die Tradition von Épées „manueller Methode“ fort und öffnete sich auch zunehmend der „kombinierten Methode“, die den Einsatz von Gebärden und Schriftsprache vorsah. Der Erfolg der Pariser Gehörlosenschule war längst schon über die Grenzen Europas hinaus gedrungen und so war es nicht verwunderlich, als eines Tages ein Besucher aus Amerika das Schulgebäude betrat: Der Geistliche Thomas Hopkins Gallaudet hatte von dem Erfolg der Pariser Gehörlosenschule erfahren und wollte sich selbst ein Bild von den Unterrichtsmethoden verschaffen. Er hospitierte in der Klasse des gehörlosen Lehrers Laurent Clerc, einem ehemaligen Schüler von Jean Massieu. Clerc begleitete Gallaudet in dessen Heimat, wo beide im Jahre 1817 die erste amerikanische Gehörlosenschule gründeten. Damit war auch in Amerika der Grundstein für die Gehörlosenbildung gelegt. Vielerorts entstanden weitere Gehörlosenschulen und später sogar die berühmte Universität für Gehörlose, die „Gallaudet Universität“.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei