Interviews mit Zeitzeug:innen
Rudolf Werners Bild: "Hoffnung auf Erfolg" (Stefan Goldschmidt, 2012)
Weitere Kunstwerke von tauben Künstler:innen präsentieren wir Ihnen hier.
Übersetzung
Hallo! In diesem Bereich finden Sie Interviews mit Zeitzeugen, die den Kampf um die Anerkennung der DGS hautnah miterlebt haben.
Bevor Sie in unseren Beiträgen stöbern, möchte ich Ihnen noch dieses Bild erläutern, vor dem ich hier stehe. Es wurde 1994 von dem tauben Maler Rudolf Werner aus Wuppertal gemalt und trägt den Titel „Hoffnung auf Erfolg“. In dem Bild setzt sich Werner kritisch mit den verschiedenen Perspektiven gegenüber Gehörlosen und Gebärdensprache auseinander.
In der unteren Bildhälfte sind verschiedene Szenen in blauen Farbtönen abgebildet.
Rechts unten ist zu sehen, wie eine gebärdende taube Person von Hörenden verspottet und ausgelacht wird. Gebärdensprache galt vor ihrer Anerkennung für viele Hörende lange Zeit als minderwertige „Affensprache“.
In der Szene links davon setzt sich Werner mit dem medizinischen Fortschritt auseinander: In den 1990er Jahren kam eine neue technische Hörhilfe auf den Markt, das Cochlea Implantat (kurz: CI). Ärzte, die von ratlosen Eltern aufgesucht wurden, rieten meist ohne zu zögern zu einer baldigen Implantation. Eine Förderung unter Einbeziehung der DGS kam in der HNO-Medizin nicht in Frage, im Gegenteil: Ärzte rieten in der Regel ausdrücklich davon ab, mit einem hörgeschädigten CI-tragenden Kind zu gebärden, um das Kind während des Lautspracherwerbs nicht zu irritieren. Infolgedessen gab es hitzige Debatten unter gehörlosen und hörenden Fachleuten und Eltern um das CI und seine Begleiterscheinungen.
Das Motiv darüber stellt eine für diese Zeit typische Unterrichtsszene in der Gehörlosenschule dar. Es war keine Selbstverständlichkeit, dass die DGS im Unterricht mit tauben Schülern zum Einsatz kam. Der überwiegende Teil der Gehörlosenschulen in Deutschland folgten dem lautsprachlichen (oralen) Bildungsansatz. Nur ein verschwindend kleiner Teil setzte im Unterricht Gebärdensprache ein. Die Folge war, dass taube Kinder nur wenig Bildung erhielten, weil ein Großteil der Unterrichtszeit auf Absehübungen und lautsprachliche Artikulation verwendet wurde.
Die in blau gemalten Motive stellen also verschiedene negative, diskriminierende Erlebnisse gehörloser Menschen dar.
Im Kontrast dazu sind die Elemente auf der oberen Bildhälfte in verschiedenen leuchtenden Farben gehalten.
Links oben ist ein erster positiver Schritt in der Gehörlosenpädagogik zu sehen: Die Skandinavier haben europaweit als erste probiert, durch bilingualen Unterricht tauben Kinder eine bessere Bildung zukommen zu lassen.: Dies beinhaltet sowohl die Vermittlung von Gebärdensprache als auch der Lautsprache. Bei der Vermittlung der Lautsprache stand nun aber nicht mehr das Absehen und Sprechen im Vordergrund, sondern die Vermittlung der Schriftsprache, also die Förderung der Lese- und Schreibkompetenz. Als Beispiel für diese neue Unterrichtsform ist auf dem Bild eine Szene an einer dänischen Gehörlosenschule dargestellt.
Dieser bilinguale Ansatz aus den skandinavischen Ländern wurde auch bald in Deutschland als Vorbild übernommen.
Rechts oben ist die damals bereits sehr fortschrittliche Situation Gehörloser in den USA, speziell an der Gallaudet Universität in Washington, abgebildet. Dort war es auch damals schon üblich, dass sowohl die Studierenden als auch das Lehrpersonal -ganz gleich, ob taub oder hörend und mit welchem akademischen Status- die Gebärdensprache beherrschten. Die USA waren Deutschland diesbezüglich um Meilen voraus und waren den deutschen Gehörlosen ein großes Vorbild im Kampf um Anerkennung.
1987 gründete Prof. Dr. Siegmund Prillwitz an der Universität Hamburg das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser (kurz: IDGS). Sein Portrait ist am rechten Bildrand in der Mitte zu sehen, neben dem Symbol des IDGS. Der Gründung gingen regelmäßige Treffen einer Forschergruppe um Prillwitz voraus. Zu ihr zählten drei Gehörlose: Heiko Zienert, Alexander von Meyenn und Wolfgang Schmidt. Prillwitz war als Germanist fachfremd und hatte zu Beginn keinerlei DGS-Kenntnisse. Deshalb dolmetschte Regina Leven, Tochter gehörloser Eltern, die Diskussionen.
1985 wurde ein weiterer Meilenstein im Kampf um die DGS gesetzt: In Hamburg wurde der erste internationale Kongress mit dem Leitthema „Die Gebärde in Erziehung und Bildung Gehörloser“ veranstaltet. Das war ein absolutes Novum und entsprechend hoch war die Zahl der Teilnehmer. Alle wollten wissen, was sich dahinter verbarg. Prillwitz ließ die „Skizzen zu einer Grammatik der Deutschen Gebärdensprache“ im Publikum verteilen, die in seinem Forschungsteam formuliert wurden. In diesem Entwurf wurden erstmalig die typischen Charakteristika der DGS beschrieben und anhand von gezeichneten Gebärdensequenzen veranschaulicht. Im Vorwort heißt es u.A.: „Die Deutsche Gebärdensprache hat eine eigenständige und differenzierte Grammatik“. Diese Aussage war revolutionär! Die Gebärdensprache in Deutschland hatte genauso eine eigene vollständige Grammatik und Struktur wie die deutsche Lautsprache! Das Publikum war in heller Aufregung und im Saal herrschte ein emotionales Gemenge aus Ablehnung, Ungläubigkeit, Verwirrung und Begeisterung.
1989 wählten die Mitglieder des Deutschen Gehörlosenbundes Dr. Ulrich Hase als neuen Präsidenten. Sein Portrait ist am oberen Bildrand in der Mitte zu sehen. Sein klares Ziel war es, die gesetzliche Anerkennung der Gebärdensprache zu bewirken. Während seiner Amtszeit setzte er sich dafür mit vereinten Kräften ein.
1993 fanden in Hamburg die ersten “Kulturtage der Gehörlosen“ statt, organisiert vom Deutschen Gehörlosenbund. Das Programm dieser Großveranstaltung bestand aus Fachvorträgen, Diskussionen, Ausstellungen und künstlerischen Beiträgen rund um Gebärdensprache und Gehörlosenkultur. Das Herzstück dieser Veranstaltung war jedoch die Demonstration, der sich rund 3000 Gehörlose anschlossen. Auf den Transparenten der Demonstranten ging es um die Forderung der Anerkennung der DGS. Dieser Protestmarsch zum Hamburger Rathaus war für viele der Moment, in dem sich alle solidarisierten, auch die, die vorher noch nicht an die Eigenständigkeit der DGS glaubten. Vorher hatte es nämlich, sogar unter den Gehörlosen, Meinungsverschiedenheiten darum gegeben, ob nun die DGS oder LBG (Lautsprachbegleitende Gebärden) der richtige Weg für Gehörlose sei.
Nun war die Gehörlosenbewegung und der Kampf um Anerkennung der DGS nicht mehr aufzuhalten: Im Jahr 2001 wurde das Recht auf die Nutzung der Gebärdensprache ins Sozialgesetzbuch IX aufgenommen. Es regelte den Dolmetschereinsatz im Bereich Rehabilitation, d.h. z.B. bei Arztbesuchen. Ein Jahr darauf wurde die DGS im Bundesgleichstellungsgesetz aufgenommen.
Aber es waren nicht nur Uli Hase und Siegmund Prillwitz, denen wir diese Entwicklungen zu verdanken haben. Viele andere Menschen, hörende wie gehörlose, haben ihren Beitrag zu diesen positiven Entwicklungen geleistet und kommen in den folgenden Interviews zu Wort. Sie beschreiben aus ihrer Erinnerung, wie sie diese aufregende Zeit voller Umwälzungen erlebt haben.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei