Selbsthilfegruppe "Arbeitslosentreff" im Gehörlosenverband Berlin e.V.
Selbsthilfegruppe "Arbeitslosentreff" im Gehörlosenverband Berlin e.V. (Karl-Heinz Hennig, 2010)
Übersetzung
Ich leite die Selbsthilfegruppe „Arbeitslosentreff“ im Gehörlosenverband Berlin e.V. Der Treff dient gehörlosen Arbeitslosen aus Berlin, um sich einerseits auszutauschen, aber auch, um sich wie bei einer kleinen Trainingsmaßnahme, weiterzubilden. Es ist also nicht damit getan, ein Plauderstündchen zu veranstalten. Stattdessen müssen die Teilnehmer auch eine gewisse Lernbereitschaft an den Tag legen. Denn wer arbeitslos ist, muss auch geistig aktiv bleiben und sein Schulwissen auffrischen, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Wer keinen Spaß am Lernen hat, findet auch keine Freude daran, sich eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Da hilft einem dann niemand mehr.
Die Behörde hilft Gehörlosen auf dem Weg aus der Arbeitslosigkeit, aber auch nur dann, wenn sie sich Mühe geben, aktiv nach einer Arbeit zu suchen. Sich nur zu unterhalten, hilft also nichts.
Viele Gehörlose haben aber Angst vor der Arbeitssuche, weil sie auf der Arbeit meistens allein unter Hörenden sind. Oft klagen sie darüber, dass das langweilig sei, weil dort niemand ist, mit dem man sich mal ungezwungen in Gebärdensprache unterhalten kann.
Aber auf der Arbeit soll man ja auch kein Schwätzchen halten! Manche Gehörlose müssen noch lernen, dass man Arbeit und Privatgespräche trennen muss.
Viele Gehörlose haben auch Angst davor, am Arbeitsplatz gemobbt zu werden, z.B. wenn es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kollegen kommt und der Vorgesetzte dem Gehörlosen Vorhaltungen macht, der Gehörlose sich aber in dem Punkt zu unrecht beschuldigt sieht, ist es wichtig, darüber zu sprechen. Wenn der Gehörlose aber nun passiv bleibt, seinen Standpunkt also nicht klar und deutlich vertritt, sondern sich stattdessen immer mehr in sich verkriecht, ist das keine gute Einstellung.
Ein Problem ist auch, das Gehörlose es öfter missverstehen, wenn Hörende ihnen Arbeitsanweisungen erteilen. Dann wird es manchmal als ungerechte „Bestimmerei“ aufgefasst. Die gehörlosen Arbeitnehmer können nicht das Wort ergreifen und z.B. sagen, dass sie es anders machen möchten. Manchmal kommt es dann zu unschönen Diskussionen. Sie wollen ja auch den Arbeitsplatz nicht verlieren. Viele Gehörlose bangen um ihren Arbeitsplatz, aber wenn ihnen aus solchen Gründen gekündigt wird, ist es dann meist zu spät.
Frage: Wie oft findet der Arbeitslosentreff statt?
Der Arbeitslosentreff findet zweimal im Monat statt, jeden 2.und 4. Mittwoch.
Frage: Wie viele Teilnehmer kommen zu den Treffen?
Der Zulauf ist unterschiedlich, aber es kommen in der Regel fünf bis 12 Personen.
Frage: Was genau sind deine Aufgaben?
Ich leiste Hilfestellung und bahne ggf. den Austausch zwischen den Teilnehmern an, in der Regel verstehen sie sich aber alle gut miteinander. Ich habe auch mal aus Stuttgart jemanden hier gehabt, der ist dann gut in der Gruppe integriert gewesen und arbeitet seit drei Jahren im Gehörlosenzentrum. Das klappt alles ganz gut.
Frage: Was sind die Ziele?
Unterhaltung oder Arbeitssuche...tja... Der Treff dient ja Beidem. Ich will die Gehörlosen dazu motivieren, mit Freude an die Arbeitssuche zu gehen. Wenn man sich nur unterhält, findet man keinen Job. Man muss Spaß an der Arbeitssuche haben und motiviert sein. Viele klagen immer über körperliche Beschwerden, obwohl keine Erkrankung vorliegt, wie Rückenschmerzen oder Schmerzen an anderen Stellen und sind deshalb schnell der Meinung, ein Jobangebot sei unpassend für sie. Man muss aber auch mal die Zähne zusammen beißen für einen Job!
Aber wenn Hörende Gehörlose am Arbeitsplatz mobben, ist das wirklich schlimm. Denn Gehörlose fühlen sich ja meistens wirklich einsam auf der Arbeit. Und manchmal werden, wenn mehrere Gehörlose im selben Betrieb beschäftigt werden, diese sogar noch räumlich voneinander getrennt. Das ist wirklich grausam und ich muss sagen, das gefällt mir gar nicht.
Einige Gehörlose haben Ängste in Bezug auf den Arbeitsplatz, ich versuche diese im Gespräch abzubauen. Hier müssen die Gehörlosen aber selbst um Hilfestellung bitten, es ist nicht so, dass es da eine Art Zwang gibt oder ich mich aufdränge.
Wenn man mehr als vier Jahre arbeitslos ist, wird die Arbeitslosenhilfe gekürzt. Viele Gehörlose kommen dann zu mir und finden das ungerecht. Aber das geht ja auch hörenden Arbeitslosen so! Sie rechnen dann aus, dass der Unterschied zu Hartz IV nur noch 5 Euro sind, ich halte dann immer dagegen und sage: Wenn du mehr Geld haben willst, such dir eine Arbeit!
Ich werde im nächsten Jahr 63 Jahre alt. Eigentlich brauche ich mir keine Arbeit mehr zu suchen, meint mein Vermittler. Das Arbeitslosengeld wird nicht gekürzt bis zum Renteneintritt. Ich möchte aber trotzdem weiter ehrenamtlich den arbeitslosen Gehörlosen in Berlin meine Unterstützung anbieten. Dass ich dafür kein Geld bekomme, ist mir nicht wichtig, Hauptsache ich kann helfen. Zum Beispiel biete ich ein Lesetraining an. Viele Gehörlose lesen gar nicht gern, dabei ist das so wichtig im Beruf! Ich selbst lese gern und finde das interessant. Es reicht nicht, nur zu gebärden. Wenn man Arbeit finden will, sollte man gut lesen und schreiben können. Ich kenne einen Gehörlosen, der so gut schreibt, dass er fast ein Buchautor ist. Er betont auch immer wieder, wie wichtig das Lesen und Schreiben für Gehörlose ist, nur so kann man sein Verständnis erweitern. Er hilft uns auch viel, das ist schön.
Ich bin selbst seit drei Jahren arbeitslos. Mein Chef hat mir damals immer mehr Arbeit aufhalsen wollen und das Tempo war unglaublich hoch, dagegen habe ich mich zur Wehr gesetzt. Das ging soweit, dass wir uns am Ende juristisch auseinandersetzen mussten. Ich habe meinen Standpunkt durchsetzen können und dann wurde mein Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verdonnert. Mein Chef war aber Pleite gegangen, so dass aus der Zahlung nichts geworden ist, da konnte ich nichts machen. Vier Jahre habe ich dort gearbeitet, das ist auch nicht so lang.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei