Die Anfänge der Gehörlosenpädagogik um 1570
Gehörlosenpädagogik: Die Anfänge um 1570 (Helmut Vogel, 2008)
Übersetzung
Heute gibt es nahezu überall auf der Welt Gehörlosenschulen, in denen gehörlose Menschen Bildung zuteil wird. Die Geburtsstunde der Gehörlosenpädagogik war das Jahr 1770, als die erste Gehörlosenschule ihre Tore öffnete. Aus der Zeit vor 1770 gibt es nicht viele Überlieferungen über das Leben Gehörloser. Im Mittelalter war der Gebrauch der Schriftsprache in der Bevölkerung noch nicht sehr verbreitet. Man kommunizierte überwiegend mündlich miteinander und das Erlernen von Lesen und Schreiben war nur wenigen Kindern vorbehalten. Erst in der Neuzeit wurde die Schriftsprache immer bedeutsamer, wodurch sich das Schreiben und Lesen in der Gesellschaft rasch ausbreitete. Gehörlose galten jedoch bis dahin als „bildungsunfähig“ und wurden deshalb auch nicht unterrichtet.
Um so überraschender war die Erfahrung, die der spanische Mönch Pedro Ponce de Léon zu dieser Zeit machte: Im Jahre 1570 wurde er in seinem Kloster in San Salvador de Ona von einer Adelsfamilie aus der benachbarten Stadt aufgesucht. Die Eltern hatten mehrere kleine Kinder, schwerhörig oder gehörlos, und wussten keinen Rat, wie sie ihren Kindern Bildung zukommen lassen sollten. In ihrer Verzweiflung baten sie Ponce de Léon um Hilfe, der sich trotz seiner fehlenden Erfahrung im Unterricht mir hörgeschädigten Kindern dieser Aufgabe annahm und die Kinder fortan im Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprechen unterrichtete. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten und Ponce de Léon wurde ein Vorreiter der Gehörlosenbildung: Zum ersten Mal in der Geschichte verstand es jemand, gehörlose Kinder erfolgreich im Lesen und Schreiben zu unterrichten. Das Geheimnis des Erfolges lag sicher auch an der Unterrichtsmethode: Die Kinder benutzten dort untereinander Gebärden und Ponce de Léon führte auch das Fingeralphabet in den Unterricht ein. Das Fingeralphabet war bis dahin nur unter den Mönchen bekannt, die dieses stille Kommunikationssystem entwickelt hatten, um sich trotz ihres Schweigegelübdes im Kloster miteinander verständigen zu können. Ein Glaubensbruder von Ponce de Léon schrieb bald darauf ein Buch über dessen erfolgreiche Unterrichtsmethode, das in ganz Europa auf anerkennendes Interesse stieß. Schließlich lieferte das Werk von Ponce de Léon den Beweis, dass Gehörlose entgegen dem herrschenden Vorurteil keineswegs bildungsunfähig waren. Von da an wurden auch an einigen anderen Orten Europas Versuche unternommen, gehörlose Kinder mithilfe von Privatlehrern zu unterrichten.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthai