Sterilisation und "Euthanasie"
Sterilisation und "Euthanasie" (Helmut Vogel, 2010)
Übersetzung
Während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland wurden viele Menschen mit Behinderung Opfer von Zwangssterilisationen.
Die Idee zu dieser Zwangsmaßnahme kam aber schon früher auf und ist unter dem Begriff "Lex Zwickau" bekannt. In diesem Zuge wurde 1924 ein medizinischer Aufsatz von einem Arzt verfasst, der darlegte, wie sich durch gezielte Zwangssterilisationen Erbkrankheiten eindämmen ließen und sich somit auch der finanzielle Aufwand der Gemeinschaft für die lebenslange Unterstützung erbkranker Menschen verringern würde.
Gehörlosigkeit wurde unter den darin gelisteten Erbkrankheiten auch aufgeführt.
Dies sorgte bei tauben Menschen und auch Taubstummenlehrern für Entrüstung. Man wollte nicht einer Gruppe Menschen angehören, die ganz andere Behinderungen oder Krankheiten hatten, wie z.B. eine geistige Behinderung oder Alkoholismus. Taube Menschen sahen sich als vollkommen leistungsfähig an, imstande zu arbeiten und Kinder zu erziehen. Der Sinn einer Sterilisation war für sie unbegreiflich, weshalb sie gegen diesen Gesetzentwurf massiv Protest einlegten, zunächst mit Erfolg: Die Regierung legte den Gesetzentwurf wieder zu den Akten. Erst mit der Machtübernahme Adolf Hitlers wurde der Entwurf wieder aufgegriffen und als „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 1934 verabschiedet.
Unter §1 des Gesetzes wurden acht Personengruppen aufgeführt, die von der Maßnahme der Zwangssterilisation erfasst werden sollten, darunter auch taube Menschen. In § 12 war geregelt, wie mit Personen verfahren werden sollte, die sich der Sterilisation nicht freiwillig in einem Krankenhaus unterziehen lassen wollten. Diese sollten vorgeladen und ggf. unter Zwang zur Sterilisation geführt werden.
Der Sterilisation entgehen konnten nur die tauben Menschen, die eine „erworbene Taubheit“ nachweisen konnten. Dies waren Personen, die erst im Laufe ihres Lebens eine Hörschädigung bekommen hatten und die belegen konnten, dass in der nächsten Verwandtschaft keine Taubheit aufgetreten war. Sie blieben in der Regel von der Sterilisation verschont. Taube, in deren Verwandtschaft weitere Fälle von Taubheit bekannt waren, hatten dieses Glück meist nicht und wurden sterilisiert.
Hinweise darauf, ob eine erblich bedingte oder erworbene Taubheit vorlag, konnten den sorgfältig geführten Schülerlisten der Taubstummenschulen entnommen werden. Die Schulen waren gezwungen, eng mit dem Erbgesundheitsamt zusammen zu arbeiten und die gewünschten Schüler-Informationen zur Verfügung zu stellen. Ebenso denunzierten auch Ärzte ihre Patienten, wenn ihnen bekannt war, dass bei ihnen eine erblich bedingte Taubheit vorlag.
Widerstand war zwecklos und einige taube Menschen fügten sich ohne Einwände dem Gesetz, oft deshalb, weil die Sterilisation auch von den Kirchen befürwortet wurde und sie den Betroffenen als Beitrag zur Weiterentwicklung Deutschlands verkauft wurde. Wer sterilisiert wurde, war verpflichtet, über die Geschehnisse Stillschweigen zu bewahren.
Auch vom Gehörlosenverband wurde die Sterilisation angepriesen: „Hörende Soldaten fallen im Krieg für ihr Vaterland, Gehörlose tragen mit der Sterilisation dazu bei, das deutsche Volk in eine starke und erbgesündere Zukunft zu führen“, so die Begründung, die von vielen akzeptiert wurde. Insgesamt fielen der Zwangssterilisation ca.15.000 taube Menschen zum Opfer.
Darüber hinaus gab es bei den Opfern auch besonders erschreckende Fälle, bei denen auch Zwangsabtreibungen vorgenommen wurden.
Von Maßnahmen der Euthanasie waren wie viele andere Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen auch mehrfach behinderte taube Menschen betroffen.
Es gab damals sechs Heilpflegeanstalten für diese Menschen, in denen im „Euthanasie“-Programm zahlreiche Bewohner mit Injektionen oder Tabletten eingeschläfert wurden.
Später wurden auch massenhafte Ermordungen durch Vergasung durchgeführt. Die Leichen wurden im Regelfall in Krematorien verbrannt. Sowohl die Zwangssterilisationen als auch die „Euthanasie“-Maßnahmen dienten gemäß der NS-Ideologie dem Ziel, die Anzahl der sog. „minderwertigen Menschen“ zu reduzieren.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei