Erfahrungsbericht 1: Sterilisation
Sterilisation (Fridolin Wasserkampf, 2011)
Übersetzung
Ja.. so genau kann ich’s nicht sagen... Es gab ein Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und eines Tages kam kurz vor Weihnachten ein Schreiben in dem stand, ich müsse sterilisiert werden.
Da hab ich noch bei meinem Großvater (Vormund) gewohnt, als der Brief kam.
Der Zwang war noch nicht so offensichtlich, man konnte Einspruch gegen den Bescheid erheben, ganz nach den regulären Richtlinien. Das haben wir dann gemacht, doch zwei oder dreimal wurde der Einspruch abgewiesen. Beim letzten Bescheid ging das bis zum Oberlandesgericht. Dort wurde das Urteil gefällt, dass ich sterilisiert werden musste. Meine Mutter hatte man auch schon sterilisiert, aber nicht aufgrund einer Hörschädigung sondern aufgrund einer Erkrankung der Gebärmutter. Ich bekam dann einen Termin für den Eingriff in einem Krankenhaus. Vorher habe ich mich noch an die Kirche gewandt und um Hilfe gebeten, aber die sagten mir, ich solle mich besser fügen, und daran denken (lacht), dass ich mit dem Eingriff ein Opfer für das Vaterland erbringen würde. Mein Vater lag mit mir auf einem Zimmer, er wurde am gleichen Tag zwangssterilisiert. Wir haben uns noch über die Bettkante die Hände gereicht und Mut gemacht. Die Sterilisation (lacht) war irgendwie eine interessante Geschichte, es lief ganz schmerzfrei ab. Der Arzt.... also ich vermute mal, ich bekam eine örtliche Betäubung, ich spürte aber, wie der Arzt mit dem Skalpell an meinem Unterleib arbeitete. Dann bekam ich zweimal einen Orgasmus, einen auf der rechten Seite und einen auf der linken. Als ob ich meinen letzten Samenerguss hatte. Das war im Grunde ein sehr schönes Gefühl. Dann waren die Samenleiter durchtrennt. Nach zwei Wochen wurde ich entlassen und konnte nach Hause. Ja, so ist das gelaufen.
Wenn ich nicht sterilisiert worden wäre? Wer weiß, wo ich heute stehen würde.
Das weiß man einfach nicht. Die Befreiung von der Sterilisation war möglich, wenn man sich in eine geschlossene Anstalt einweisen ließ. Ob einem da etwas injiziert werden würde, weiß man nicht. Das war dann ja in Hadamar so, wo etliche Behinderte per Injektion getötet wurden. Mit der Situation habe ich mich dann abgefunden. Es gab aber auch Betroffene, die seelisch sehr darunter gelitten haben.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei