Kollien & Goldschmidt: "Sprachursprung"
"Sprachursprung" (Simon Kollien & Stefan Goldschmidt, 2012)
Übersetzung
Ein Beitrag zum 25-jährigem Jubiläum des Instituts für Deutsche Gebärdensprache
Thema: „Wissenschaftliche Sensationen zum Sprachursprung der Gebärdensprache und Lautsprache!“
Simon stürzt ins Bild und spricht auf Deutsch:
„Ah! Hallo! Wo bin ich hier? Verstehen Sie mich denn nicht? Hallo? Sie verstehen mich nicht? Ach! Einen Moment, bitte....“
Nach erfolgter „Umstellung“ mit einem blauen Gerät gebärdet er nun in DGS:
„Das Ding hier ist ein außerirdisches Übersetzungsgerät für gesprochene oder gebärdete Sprachen. Wer von Euch kann denn sprechen? Ich möchte mich doch so gern mit jemandem in der Lautsprache unterhalten... Keiner? Ach, Sie da, ja! Super, dass Sie zum Reden ansetzen... Ach, und Sie da, Sie gebärden, aha! Gibt es denn beide Sprachen bei Euch? Wie das denn?“
Stefan stürzt ebenfalls ins Bild und gebärdet in DGS:
„Eben komme ich hier an und da sehe ich, wie Du nach Lautsprachlern fragst? Nee, das kommt mir nicht in die Tüte... Wer von Euch kann denn gebärden? Da, Sie können gebärden, ja! Und Sie auch? Ach so, nur ein bisschen? Schade! O.k., aber dass Sie dort drüben gebärden können, finde ich prima! Aber sag’ mal (zu Simon): Wer bist Du denn überhaupt?“
Simon: „Ich muss zugeben, dass ich gar nicht weiß, wie ich hier hergekommen bin. Ich bin echt erschrocken. Ich komme nämlich aus einer anderen Welt, in der alle sprechen und hören. Irgendwie bin ich von dort hierher gestürzt. Nun weiß ich nicht, wo ich bin.“
Stefan: „Das ist ja ein Zufall, ich bin auch aus meiner Welt hier her gestolpert. Aber da, wo ich herkomme, wird nur gebärdet und nicht gesprochen. Und nun sehe ich Euch (zum Publikum) und einige von euch sprechen und einige gebärden. Das verwirrt mich ziemlich... Aber, (zu Simon) was machst Du denn beruflich?“
Simon: „Meine Arbeit? In meiner Welt war ich gerade mit einem interessanten wissenschaftlichen Thema beschäftigt: Ich spüre nämlich dem Ursprung der Sprache bzw. der Gebärdensprache nach und versuche zu rekonstruieren, wie das ausgesehen haben könnte.“
Stefan: „Du machst ja das Gleiche wie ich! Ich untersuche nämlich die Fragestellung, wann sich möglicherweise die Lautsprache von der Gebärdensprache nach der Zeit ihrer Koexistenz abspaltete und einen eigenen Weg ging. Ich versuche den Zeitpunkt dieser Trennung zu ermitteln.“
Simon: „ Das Gleiche habe ich auch untersucht! Ich habe sogar Beweise gefunden und Materialien dabei...“
Stefan: „Du hast was? Bitte zeig’ sie mir!!“
Simon: „Ja klar, einen Augenblick...“(holt eine Fernbedienung hervor)
Einblendung: „Nach dem Mailänder Kongress 1880“
Szene: Simon als Gelehrter an der Tafel. Darauf in Sütterlinschrift: „Brillante Zähne führen zu Erfolg!“ Stefan als Schüler.
Nach der Szene der Einübung des Satzes in Lautsprache:
Simon (in Deutsch): „Prima!“
Einblendung: „Dank der Erfindung der Zahnpasta setzte sich die Lautsprache rasend schnell durch!“
Stefan: „So ein Zufall, ich habe auch etwas zum Jahr 1880 gefunden. Ich zeige es Dir. Gib mir mal bitte die Fernbedienung.“
Einblendung: „Nach dem Washingtoner Kongress 1880“
Tafelanschrieb im Hamburger Notationsystem: „HÄNDE NÄGEL-LACKIERT GEBÄRDEN SETDEM ERFOLG!“ (Übersetzung: „Gebärden mit lackierten Fingernägeln führt zum Erfolg!“)
Stefan (in DGS): „Los!“
Simon probiert, den Satz zu gebärden, macht aber Fehler.
Stefan: „Nee! Da steht: ‚Gebärden mit lackierten Fingernägeln’. Versuch’s nochmal!“
Nach Simons zweitem Versuch:
Stefan: „Nee! Halt den Mund! So nicht! Du musst alle Finger beim Gebärden benutzen! Also..?“
Simon: „HÄNDE NÄGEL-LACKIERT GEBÄRDEN SEITDEM ERFOLG!“
Stefan: „Prima!!“ (wiederholt den Satz und präsentiert dabei ein Nagellack-Fläschchen)
Einblendung: „Dank der Erfindung von Nagellack setzte sich die Gebärdensprache rasend schnell durch!“
Stefan und Simon zurück vor der Leinwand:
Stefan: „So war das!“
Simon: „Wie interessant! Die Filme zeigen, dass die Lautsprache und die Gebärdensprache bereits 1880 voneinander getrennt waren.“
Stefan: „Ja und ich habe von dort ausgehend noch weiter in die Vergangenheit zurückgeblickt und erforscht, wann die Trennung stattfand. Diesen Zeitpunkt habe ich nun gefunden!“
Simon: „Was?! Ich auch! Dann wollen wir beide mal gucken was bei unseren Forschungen heraus gekommen ist...“
Stefan und Simon drücken gleichzeitig auf die Fernbedienung.
Einblendung: „Der Zeitpunkt der Entzweiung zwischen Gebärdensprache und Lautsprache begann in der Steinzeit 100.000 v.Chr.“
Szene in Urzeitlandschaft:
Auftreten der Urahnen von Stefan und Simon.
Simon (in Lautsprache): „Halt! Da..da..da!“
Stefan (in Gebärdensprache): „Säbelzahntiger!“
Simon (nachahmend mit Gebärden): „SÄBELZAHN ja..ja..!“
Beide im Abgang: „Au weia!“
Unterwegs im Wald:
Stefan (in Gebärden): „Hirsch mit Pfeil und Bogen und Speer erlegen! Da drüben!“
Simon (versuchsweise in Gebärden und dann artikulierend): „Nein, es ist falsch, ‚Hirsch’ zu gebärden.. Du musst es aussprechen...Hirsch! Hirsch!“
Stefan: „Nein, ich bleibe bei der Gebärde: Hirsch!“
Simon: „Ach, nein! Du musst es aussprechen: Hirsch! Hirsch! Hirsch...“
Auf der Pirsch im Wald:
Stefan (gebärdet): „Da, ein Hirsch!“
Simon (spricht): „Nein, du musst es so aussprechen...Hirsch! Hirsch!“
Stefan: „Nein, (gebärdet) Hirsch!“
Beide stehen im Wald. Die Diskussion über die bessere Sprache setzt sich fort, dann:
Simon (spricht): „Ich werde es machen...(zielt mit Pfeil und Bogen auf den Hirsch) ..Sei still! (Er schießt) Hurra! Getroffen! Boah, bin ich stark!“
Stefan (gebärdet): „Ich bin dran!“
Simon (spricht): „In diese Richtung musst Du schießen...-Was ist denn??“
Stefan versucht auch zu sprechen und bricht dann den Schießvorgang ab.
Stefan (in Gebärden): „Du gehst im Bogen herum und scheuchst dann das Tier zu mir her...“
Simon (lautsprachlich): „Was? Ich verstehe dich nicht!“
Die Hirsche springen davon.
Beide: „Oh nein!“
Stefan: „Der Hirsch ist weg! Oh nein!“
Simon (versuchsweise in Gebärden): „Oh mann! Du Trottel! Warum musstest du auch den Bogen ablegen und drauflos gebärden!?! Damit verschwendest du nur unsere Zeit...Du hast es total verbockt.“
Stefan (gebärdet): „Ach, hör doch auf!“
Auf dem Weg durch den Sumpf:
Simon trifft auf ein Mammut.
Simon (spricht): „Oooh! Bleib ruhig...wir verstehen uns doch super! Du sprichst doch auch mit dem Rüssel....wie? Oh, stop, stop... Aaaah!“
Simon wird vom Mammut umgeschubst.
Stefan (gebärdensprachlich): „Oh, Du ehrenwertes Rüsseltier, könntest Du bitte zur Seite stampfen? Ja? (Das Mammut geht zur Seite.) Hurra! Mit den Gebärden hat es geklappt!“ (bedankt sich mit einem Kuss bei seinen Händen)
Simon und Stefan weiterhin auf dem Weg durch den Sumpf.
Simon: „Du! Das Sprechen ist doch gut, meinst Du nicht?“
Stefan: „Neee, mit meinen Händen kann man viel besser sprechen. Ich liebe meine sprechenden Hände!“
Simon: „Ach, nein! Ich werde jetzt mal mit meiner Sprache in diese Richtung weiterziehen.
Stefan: Ach! Dann werde ich mal mit meinen sprechenden Händen in die andere Richtung weiterziehen!“
Simon: „Na gut!“
Sie umarmen und verabschieden sich.
Einblendung: „So trennten sich die Wege der Sprachsysteme. Traurig, aber wahr!“
Simon: „Interessant! So kam es also zur Spaltung zwischen deiner gebärdensprachlichen Welt und meiner lautsprachlichen Welt!“
Stefan: „Ja, so war das... Wie heißt übrigens Deine Welt?“
Simon: „Meine Welt? Ich zeige es Dir...“(Einblendung: Earth)
Stefan: „Ach so. Und nun zeige ich dir, wie meine Welt heißt...(Einblendung: Eyeth)..Tja!“
Simon: „Wie interessant! (Zum Publikum gewandt:) Und ihr...bei Euch gibt es ja beides, einige von euch sprechen, einige gebärden. Wie heißt denn Eure Welt??...“ (Einblendung: Eyearth)
Beide: „Ah, jetzt ist alles klar!“
Stefan: „Darum gibt es da bei Euch Dolmetscher, Gebärdensprachkurse, gebärdensprachliche Services, den Kampf für Inklusion und den Austausch darüber.“
Simon: „Jetzt versteh ich´s auch. Das ist ja toll, oder?“
Stefan: „Ja, sehr gut!“
Simon: „Nun würde ich gerne zurück nach Hause gehen...“
Stefan: „Ich auch...“
Simon: „Dann sagen wir jetzt Euch allen, Tschüss!’. Wir wünschen Euch viel Erfolg und alles Gute!“
Beide: „Tschüss!“