Gebärdensprachpoesie
Zum Begriff "Gebärdensprachpoesie" (Jürgen Endress, 2013)
Übersetzung
Gebärdensprachpoesie vollzieht sich rein visuell. Ein schönes Gedicht zeigt sich in Gebärdensprachen nicht auf dem Papier, sondern im Raum zwischen dem Poeten und dem Publikum. Die bevorzugt eingesetzten Stilmittel sind dabei individuell ganz unterschiedlich, aber die Basis bilden Gebärdenzeichen, Mimik und Oberkörperbewegungen.
Je nachdem, welche Absicht ein Poet mit seinem Stück verbindet, kann die Wirkung auf das Publikum ganz unterschiedlich ausfallen. Zum Beispiel gibt es Poesie, die Spannung erzeugt, andere wiederum regen das Publikum zur gedanklichen Auseinandersetzung und eigenen Interpretationsversuchen an.
Es gibt keine Regeln für Gebärdensprachpoesie. Ich sehe das auch für meine Poesie locker, beachte aber gewisse Grundprinzipien:
Reime:
Man kann in Gebärdensprache reimen, allerdings ist hier das wiederkehrende Moment kein gleichtönender Klang von Wörtern wie in Lautsprachen, sondern die Wiederholung von Handformen. Zum Beispiel kann ich die gespreizte Handform in mehreren aufeinander folgenden Gebärden einsetzen, wie in der Sequenz „fliegender-VOGEL LANDSCHAFT“. Indem ich an bestimmten Stellen so eine Häufung einer bestimmten Handform setze, entsteht ein Reim und so entsteht visuelle Poesie.
Wenn man sich tiefergehend mit Gebärdensprachpoesie befasst, entdeckt man weitere Dinge, die als Effektmittel eingesetzt werden können. Dazu gehören z.B. das Gebärdentempo, der Gebärdenumfang, sowie der Intensitätsgrad von Mimik und Oberkörperbewegungen. Welches Mittel gewählt wird, hängt auch immer vom Inhalt des Stücks ab und davon, was beim Zuschauer angeregt werden soll. Geht es darum, das Publikum emotional zu berühren? Steht die Erzeugung von Spannung im Vordergrund? Oder sollen die Zuschauer über das Gesehene nachdenken und zu eigenen Interpretationen angeregt werden?
Ich nutze für meine Gebärdensprachpoesie eine visuelle Bildsprache, nicht die DGS. Das sind für mich zwei ganz unterschiedliche Ausdrucksmittel. Ich zeige das jetzt mal anhand des Begriffs „Vogel“: In DGS gibt es dafür das Gebärdenzeichen VOGEL (wie Schnabel), in Gebärdensprachpoesie würde ich den Vogel aber beidhändig darstellen, beide Hände überkreuzen und mit flachen Händen die anmutig auf- und abschwingenden Flügel darstellen.
Dadurch kann ich den Begriff „Vogel“ ästhetischer ausdrücken und auf diese Weise bekommt jeder Teil meines Stücks eine schöne und anmutige Form. Ich würde in einem Stück auch nicht das Gebärdenzeichen UHR aus der DGS benutzen, sondern eine visuell ästhetische Form verwenden, wie ich sie hier zeige. Das ist ein weiteres Prinzip, nach dem ich als Poet arbeite: Ich verzichte auf Gebärdenzeichen aus der DGS.
Ebenso gibt es andere Poeten, die Gebärdenzeichen aus der DGS in ihren Stücken einsetzen, das ist eine individuelle Entscheidung und jedem selbst überlassen. Für mich geht aber die künstlerische Wirkung häufig verloren, wenn zuviele DGS-Gebärdenzeichen eingesetzt werden.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei