Ertaubte
Ertaubte Menschen (Britta Harms, 2012)
Übersetzung
Ertaubte Menschen
Zur Klärung des Begriffes „ertaubt“, ist die Unterscheidung in zwei Formen der Ertaubung anzuführen.
Man differenziert zwischen Frühertaubten und Spätertaubten.
Von einer frühen Ertaubung spricht man, wenn ein kleines Kind unter drei Jahren, noch vor Vollendung des Spracherwerbes – also prälingual - das Gehör verliert.
Die Gruppe der Spätertaubten ist breit gefächert. Menschen gelten als spätertaub, wenn sie nach dem Spracherwerb, sprich im Alter ab ca. 5 bis 6 Jahren ertauben bzw., wenn sie sich einen voll ausgebildeten Wortschatz in Schrift und Lautsprache aneignen konnten.
Eine Spätertaubung ist ein tiefer Einschnitt in die bisherige Lebensweise der Person und erforderte eine große Umstellung. Das Leben, mit der gewohnten Art zu kommunizieren, verändert sich auf einen Schlag. Die Spätertaubung stellt den Umgang in der Partnerschaft, mit der Familie, den hörenden Kindern und den Freunden, mit denen bisher in Lautsprache kommuniziert wurde, auf den Kopf. Der Umgang damit, stellt eine große Herausforderung dar.
Die Gruppe der Frühertaubten steht der Gebärdensprache in der Regel offener gegenüber. Die jungen Menschen stoßen aber zunächst, ähnlich wie taube Kinder, vor Barrieren, da sie der Lautsprache nicht mächtig sind. Sie erlernen langsam die Gebärdensprache und können eine vollständige Gebärdensprachkompetenz erwerben.
Die Spätertaubten haben die Lautsprache stark in sich verankert und sind es gewohnt, in Laut- und Schriftsprache zu kommunizieren. Sie bleiben auch nach der Ertaubung oft mehr der hörenden bzw. schwerhörigen Welt zugewandt. Sie verwenden verstärkt Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG). Einige schaffen es auch ganz ohne Gebärden auszukommen, in dem sie ihrem Gegenüber von den Lippen ablesen und selber sprechen.
Das Gesprochene wird vom hörenden Gegenüber gut verstanden, die Antwort der hörenden Person aber ist für die ertaubte Person nur schwer zu verstehen.
Die psychische Belastung der spätertaubten Menschen ist hoch. Das liegt darin begründet, dass die Menschen sich von klein auf bis zum Alter von 20, 30, 40 Jahren ein Leben im hörenden Umfeld aufgebaut haben. Sie haben eine Berufsausbildung abgeschlossen, üben bereits einen Beruf aus, haben Familie und Kinder. Dann mit einem Mal verlieren sie ihr Gehör und sehen sich alleine unter Hörenden. Plötzlich ist die gewohnte Kommunikation nicht mehr möglich und man versteht sich auf einmal nicht mehr. Der Umgang mit dieser Situation ist neu und sehr herausfordernd.
Die Gründe für eine Spätertaubung sind sehr unterschiedlich. Sie kann durch eine Virusinfektion im Kindesalter verursacht sein, durch eine zu lange Einnahme von Antibiotika, einem Unfall, einem durch Lärm verursachten Hörsturz und vielem mehr.
Es wird geschätzt, dass es in Deutschland ungefähr 150000 spätertaubte Menschen gibt. Eine genaue Zahl gibt es nicht. Spätertaubte Menschen treten häufig einem Schwerhörigen Verband bei. Einen eigenen Spätertaubten Verband gibt es nicht.
Prinzipiell bleiben Spätertaubte ihrem gewohnten Kommunikationsmustern mit Lautsprache treu.
Taube Menschen müssen sehr für eine barrierefreie Kommunikation kämpfen. Sie benötigen Mitschriften und Untertitelung, was sie auf politischer Ebene aktiv einfordern.
In diesem Bedürfnis gleichen sich die beiden Gruppen.
Die Form der Kommunikation bei Spätertaubten ist divers und obliegt dem individuellen Geschmack. Viele Spätertaubte bevorzugen LBG (Lautsprachbegleitende Gebärden), andere lehnen Gebärden in Gänze ab und bevorzugen das Ablesen von den Lippen. Es gibt auch Menschen, die sich in der Situation für ein CI (Cochlea Implantat) entscheiden.
Hier sei erwähnt, dass Hörgeräte nur Schwerhörigen helfen, die ein Restgehör haben, nicht aber gänzlich Ertaubten. Diesen kann ein CI in der Kommunikation helfen.
Einige ertaubte Menschen entscheiden sich dazu, in die Gebärdensprachgemeinschaft einzusteigen und nutzen die Gebärdensprache. Sie haben für sich festgestellt, dass von den Lippen abzulesen keine vollständige Kommunikation absichert und zudem zu vielen Missverständnissen führen kann. Eine vollständige Integration ist nicht möglich. Darum bevorzugen diese Personen das Erlernen der Gebärdensprache, was im fortgeschrittenen Alter etwas schwerer wird, zumal die lautsprachlichen Muster tief verwurzelt sind und sich von der Gebärdensprache, mit deren unterschiedlicher grammatikalischen Struktur, unterscheiden. Aber auch das ist individuell unterschiedlich.
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Übersetzung aus der Deutschen Gebärdensprache (DGS) von Jutta Feuerle und Britta Harms.