Dr. Ulrich Hase - Motivation für das Amt
Hase: Meine Motivation für das Amt von 1989 - 1999 (Dr. Ulrich Hase, 2011)
Übersetzung
Viele Gehörlose kannten mich schon aus der Zeit vor meiner Präsidentschaft im DGB, durch meine Aktivität in Münster. Diese Gruppe hatte damals für kurze Zeit ca. 1500 Mitglieder, das war schon stark für die damalige Zeit. Die Gruppe war eine sehr heterogene Mischung aus Hörenden, Schwerhörigen, Ertaubten und Gehörlosen, die aber geschlossen die Verwendung von Gebärdensprache vertrat. Dann begann die Studentenbewegung und ich baute eine Gruppe für hörgeschädigte Studierende auf, die BHSA. Schon zur Anfangszeit habe ich viele Gehörlose kennengelernt. Ich mochte sie gern und auch ihre Gebärdensprache hat mich fasziniert. Im Gegensatz zu mir und anderen Schwerhörigen hatten die Gehörlosen eine richtige Sprache, mit der sie uneingeschränkt kommunizieren konnten. Als Schwerhöriger kennt man ja nur diese frustrierenden Alltagserlebnisse, nicht alles mitzubekommen und zwar nicht nur im Gespräch mit Hörenden sondern auch bei Unterhaltungen mit anderen Schwerhörigen und Gehörlosen. Das hatte ich so satt. Gehörlose hatten noch mehr Probleme als ich, dachte ich vorher immer, aber es war im Grunde umgekehrt, weil sie gebärden konnten und so miteinander wenigstens keine Barrieren mehr hatten. Das fand ich toll und ich war in meiner Begeisterung auch ein kleines bisschen neidisch auf die Gehörlosen und ihre Gebärdensprache.
In dieser Zeit hatte ich bereits ein großes Interesse an den Belangen der Gehörlosen Aber mein Herz hat ebenso für die Schwerhörigen und Ertaubten und auch für die Hörenden geschlagen. Ich habe alle in einem Boot gesehen und mich nicht nur für eine Untergruppe engagieren wollen. Ich war schon damals gegen diese Unterteilung anhand des Hörstatus. Dieses Schubladendenken „die Ertaubten, die Gehörlosen, die Schwerhörigen usw.“, das auch von Hörenden gefördert wurde, hat mich sehr geärgert.
Zu dieser Zeit studierte ich noch und bekam vom Integrationsamt in Münster den Auftrag, zu untersuchen, welchen beruflichen Problemen hörgeschädigte Menschen begegnen und welche Unterstützungsbedarfe sie dabei haben. Meine wissenschaftliche Auseinandersetzung damit wurde veröffentlicht und bildete die Grundlage für die Gründung des ersten Fachdienstes für Hörgeschädigte in Deutschland. Damals hat Petra Piel dort eine Stelle bekommen. Diese Entwicklungen wurden zeitgleich auch durch die engagierte TV-Sendung „Sehen Statt Hören“ mit ihrer Reihe „Unser Recht“ positiv verstärkt. Das was dort gezeigt wurde, basierte sozusagen auf meiner wissenschaftlichen Arbeit.
Ich war damals noch jung, 23 Jahre alt. Viele Leute kannten mich damals schon. Durch meine Rehabilitationsarbeit in Rendsburg hatte ich auch beruflich immer viel Kontakt zu Gehörlosen. Man kannte mich also, ich war jung, ich hatte mein Studium abgeschlossen und Berufserfahrungen in der Pädagogik und der Verwaltung gesammelt, und meine Perspektive lag auf allen Hörgeschädigten, egal welchen Hörstatus sie hatten. Aus diesen Gründen kamen verschiedene Leute aus dem DGB mit dem Wunsch auf mich zu, ich solle mich in diesem Bereich engagieren. Ich lehnte das damals zunächst ab, weil ich glaubte, die falsche Person für den Posten zu sein. Die Mitglieder im Gehörlosenbund identifizierten sich ja alle mit der Gebärdensprache und waren eine eingeschworene Gemeinschaft, hatten sozusagen Stallgeruch. Ich war in dem Sinne keiner von ihnen und nicht mit der Gebärdensprache aufgewachsen. Wie hätte ich also ihre Belange repräsentieren können? Die Welt der Hörenden, in der ich aufgewachsen war, war ja eine ganz andere. Da erschien es damals schwer vorstellbar, dass ein Präsident sich auch in der hörenden Welt bewegt und sich trotzdem voll für Gehörlose engagieren kann.
Gehörlose waren damals noch sehr konservativ in ihren Ansichten und blieben lieber unter sich.
Damals hat mich Robert Brück ganz direkt und eindringlich angesprochen. Und auch Professor Siegmund Prillwitz und Jürgen Stachlewitz sowie Alexander von Meyenn traten an mich heran. Für mich war das damals wirklich paradox und verwirrend: Einerseits hatte die Universität linguistische Belege zur wissenschaftlichen Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache erbracht. Andererseits jedoch stemmte sich der Gehörlosenbund mit aller Kraft gegen die Anerkennung der DGS. Das war für mich unbegreiflich. Ein Verband wie der DGB hat doch die Pflicht, Grundlagen zur Anerkennung zu schaffen, stattdessen stellte er sich stur und ignorierte die Belege aus der Gebärdensprachforschung.
So war das am Anfang. Ich war neugierig und wollte dann wissen was da los ist. Von da an habe ich gesagt, ok, ich komme nach Karlsruhe (zur Mitgliederversammlung des Deutschen Gehörlosenbundes im Jahr 1989). Ganz so sicher war ich mir da allerdings noch nicht. Kurze Zeit vorher war ich für das Diakonische Werk in Schleswig-Holstein nach Island gereist. Dort ging es um die Finanzierung verschiedener Vorhaben für Behinderte. Ich war dort aktiv am Entscheidungsprozess für die zu finanzierenden Vorhaben beteiligt. Ich habe meinen Aufenthalt aber verkürzt und bin einen Tag vor Ende der Verhandlungen direkt nach Karlsruhe geflogen.
Erst einmal wollte ich dort schauen, ob ich das überhaupt will. Ich hatte bis dahin die Welt der Gehörlosen immer als eine Gemeinschaft voller gut gelaunter Leute erlebt, mit denen man sich gut unterhalten konnte, und die voller positiver Ausstrahlung waren. Als ich nach Karlsruhe kam, erlebte ich jedoch das glatte Gegenteil. Dort blickte ich in lauter feindselige Gesichter, es war fast wie unter Schwerhörigen dort, auch von der Kommunikation her. Diese Stimmung dort passte mit der realen Gehörlosenwelt, wie ich sie erlebte, gar nicht zusammen.
Ich wurde dort erst misstrauisch beäugt, mein Bekanntheitsgrad war da eher hinderlich.
Hörende und gehörlose Freunde haben damals oft zu mir gesagt: „Wenn sie sagen, du schaffst das nicht, dann schaffst du das!“- nach dem Prinzip „Jetzt erst recht!“.
Es war dann auch eine ziemlich knappe und bedeutende Entscheidung. Für mich ist im Rückblick aber wichtig zu sagen, dass ich keineswegs der Quereinsteiger in die Welt der Gehörlosen war, wie viele meinten.
Denn ich hatte ja vor der Wahl schon viel Erfahrung gehabt und war auch nie der typische Schwerhörige. Im Gegenteil, ich hatte schon in vielen anderen Bereichen mit Gehörlosen gearbeitet.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei