Anerkennung der DGS (1989 - 1996)
Kampf um Anerkennung der DGS - Teil 2 (1989 - 1996) (Stefan Goldschmidt, 2008)
Übersetzung
Vor dem Hintergrund der positiven Entwicklungen an der Hamburger Universität und der dort stattfindenden Erforschung der DGS, kündigte sich im Deutschen Gehörlosenbund ein Führungswechsel an. 1989 wurde mit Dr. Ulrich Hase ein neuer Präsident gewählt. Hase, Jurist und schwerhörig, war zu dem Zeitpunkt noch relativ fremd in der Gehörlosengemeinschaft, wurde durch seine juristische Expertise und sein selbstbewusstes Auftreten gegenüber Hörenden jedoch bald zum hoch geschätzten Vorkämpfer und politischem Aushängeschild der Gehörlosengemeinschaft. Konsequent setzte er sich für das Ziel des DGB ein, die Anerkennung der DGS. Dazu musste er vor allem auf der Länderebene in den Mitgliedsverbänden politische Aufklärungsarbeit leisten: Vielerorts waren die Betroffenen noch tief davon überzeugt, dass LBG durch den engen Bezug zur deutschen Lautsprache die bessere ausdrucksreichere Kommunikationsform sei als DGS, die nach wie vor als primitiv erachtet wurde. Die meisten Hörenden waren derselben Meinung. Hase argumentierte auf zahlreichen Veranstaltungen, dass die Gebärdensprache die natürliche Sprache der Gehörlosen sei und als diese auch verwendet und anerkannt werden müsse. Die Meinungsverschiedenheiten darüber dauerten jedoch weiter an.
1990 fand bei „Sehen Statt Hören“ ein Moderatorenwechsel statt. Seit der Erstausstrahlung im Jahr 1975 hatte eine hörende Gehörlosenlehrerin sprechend durch die Sendung geführt, mit überdeutlichem Mundbild und nur wenigen unterstützenden Gesten. Hörgeschädigte Zuschauer konnten dem Inhalt nur schwer folgen. 1990 wurde der gehörlose Jürgen Stachlewitz als Moderator eingesetzt, der fortan mit einem neuen Format in Gebärdensprache durch die Sendung führte.
Ein Jahr später, 1991, fand in Berlin das erste Gebärdensprachfestival statt. Die künstlerisch wertvollste Darbietung in DGS wurde mit einem Preis, der „Goldenen Hand“, belohnt.
Die Gründung des Gebärdensprachfestivals lieferte einen weiteren Beitrag zur positiven Wahrnehmung und Wertschätzung von Gebärdensprache. Sowohl für viele Zuschauer als auch für die Vortragenden selbst war diese Veranstaltung ein weiterer Moment der Erleuchtung und der hohe Stellenwert der DGS innerhalb des Lebens Gehörloser wurde immer deutlicher.
Neben den Verfechtern der Gebärdensprache gab es jedoch nach wie vor Gegner der DGS, insbesondere den sog. „Westerwohlder Kreis“, der zusammen mit einigen politischen Vertretern der Landesverbände der Gehörlosen das „Gernsbacher Papier“, eine Unterschriftensammlung gegen die Entfaltung der DGS, protestierte und für die Beibehaltung von LBG Stellung bezog. Dies führte nach wie vor zu Spannungen und Auseinandersetzungen.
Dann fanden 1993 die ersten „Kulturtage der Gehörlosen“ in Hamburg statt. In Kooperation mit dem Institut für deutsche Gebärdensprache der Universität Hamburg und dem Deutschen Gehörlosenbund fand währenddessen auch der „Kongress zur Zweisprachigkeit in der Erziehung und Bildung Gehörloser“ statt. Darin wurde in vielen Vorträgen der Wunsch nach einem zweisprachigen (bilingualen) Unterricht an Gehörlosenschulen deutlich: Gebärdensprache und die deutsche Schriftsprache sollten als gleichberechtigte Unterrichtssprachen zu gleichen Teilen eingesetzt werden. In diesem Rahmen wurde zum ersten Mal eine Plattform geschaffen, auf der die Interessen der Gebärdensprachforscher um Prof. Dr. Siegmund Prillwitz und die Ziele und Wünsche der Vertreter des Gehörlosenbundes ausgetauscht und verknüpft werden konnten. An den Kulturtagen in Hamburg nahmen neben vielen Hörenden ca. 3000 Gehörlose aus ganz Deutschland teil. Das Publikum war überwältigt von den vielen Darbietungen und Vorträgen in DGS. Der Höhepunkt der Veranstaltung bildete eine Großdemonstration zum Hamburger Rathaus, die der Öffentlichkeit zeigen sollte, dass Gehörlose mit der DGS eine eigene Sprache haben, die Anerkennung finden muss. Die Erinnerung an diese Veranstaltung ist noch heute bei vielen Gehörlosen mit einem sehr starken Gemeinschaftsgefühl verknüpft.
1994 fand in Hamburg der erste „Deaf History“-Kongress statt. Durch die Erforschung und Entfaltung der Gebärdensprache entwickelten Gehörlose auch zunehmend ein Bewusstsein für die Aufarbeitung geschichtlicher Ereignisse in ihrer Gemeinschaft. Auch die Erforschung und Bewusstwerdung über die eigene Sozialisation und Identität war ein neues Interessensgebiet Gehörloser. Auf der politischen Ebene gab es weiterhin Spannungen und Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf den Status der Deutschen Gebärdensprache. Ulrich Hase setzte den zähen Streit 1996 konstruktiv um: Mit der sog. „Heidelberger Erklärung“ wurde schriftlich festgehalten, dass es mehrere Kommunikationsformen mit Hörgeschädigten gibt: Einerseits LBG, andererseits DGS. Darüber hinaus wurde darin die Anerkennung der DGS gefordert. Zahlreiche Mitgliedsverbände und andere Vertreter unterschrieben diese Erklärung und schlossen sich zu einer politisch wirkungsvollen Solidaritätsgemeinschaft zusammen. Dieser Schritt ebnete der politischen Anerkennung der DGS den Weg.
1999 gab es neue Vorstandswahlen beim Deutschen Gehörlosenbund, aus denen Gerlinde Gerkens als neue Präsidentin hervor ging.
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei