Erinnerungen an den Kongress "Die Gebärde in Bildung und Erziehung Gehörloser" 1985
Erinnerungen an den Kongress "Die Gebärde in Erziehung und Bildung Gehörloser" 1985 (Heiko Zienert, 2011)
Übersetzung
Der Kongress „Die Gebärde in Erziehung und Bildung Gehörloser“ war ein sehr spannendes Ereignis für mich. Ich hatte vorher nur sehr selten vor so großem Publikum gestanden und auf so einer förmlichen Konferenz hatte ich noch nie einen Vortrag gehalten. Deshalb hatte ich sehr großes Lampenfieber. Im Vorfeld sprachen Wolfgang Schmidt, Alexander von Meyenn und ich untereinander die Themen unserer Vorträge ab. Die Suche nach geeigneten DGS-Dolmetschern verlief leider erfolglos. Wir mussten notgedrungen mit einer Gehörlosendolmetscherin vorlieb nehmen, der Name ist hier nicht so wichtig. Das Problem bestand darin, dass sie nur wenige DGS-Kenntnisse hatte und stattdessen nur LBG verstand. Wir entschieden uns deshalb, ihr ein Skript mit der deutschen Übersetzung unserer Vorträge zu geben, sodass wir in DGS vortragen konnten, und sie parallel dazu die deutsche Übersetzung einfach vorlesen konnte. Das war schon ein komisches Gefühl, denn sie blickte nur ab und zu kurz von ihrem Text zu mir herüber, um einzuschätzen, ob sie noch inhaltlich mit mir auf gleicher Höhe war. Außerdem wurde gleich zu Beginn meines Vortrags das Licht im Saal gedimmt. Das war schon sehr merkwürdig, denn das Publikum verschwand im Dunkeln und ich konnte zu niemandem Blickkontakt aufbauen! Es war, als würde ich in ein schwarzes Nichts gebärden! Aber ich zwang mich, meinen Vortrag bis zum Ende durchzuhalten, gebärdete vor einer dunkeln Wand- ohne Bezug zum Publikum- darüber, wie unverzichtbar die DGS für uns sei und verwies auf die amerikanischen Forschungsergebnisse zur Gebärdensprachgrammatik etc.
Nachdem ich meinen Vortrag beendet hatte, sah ich, dass die Dolmetscherin noch weiter ablas und wunderte mich, dass sie noch nicht fertig war. Aber ich blieb ruhig und wartete. Nachdem auch sie fertig war, wurde es wieder hell im Saal und das Publikum applaudierte. Als ich durch die Reihen im Publikum sah, blickte ich in einige kritische Gesichter, andere Teilnehmer waren hoch erstaunt. Das war mir aber schon vorher klar, dass die Reaktionen auf meinen Vortrag unterschiedlich ausfallen würden.
Natürlich gab es auch Kritiker und Skeptiker im Publikum, sie waren aber in der Minderzahl und gehörten überwiegend der älteren Generation an.
Die meisten Anwesenden reagierten aber positiv und wohlwollend. Sie hatten unsere Botschaft verstanden und sahen ein, dass die Gebärdensprache große Vorteile für die Erziehung und Bildung von Gehörlosen bringen würde und die Gehörlosenschulen grundlegend reformiert werden mussten. Für sie wurde deutlich, dass eine einseitige orale Unterrichtsmethode falsch war. Stattdessen sahen sie-wie wir- die Chance in einem zweisprachigen (bilingualen) Ansatz, d.h. in der Förderung gehörloser Kinder mit der Deutschen Schriftsprache und der Deutschen Gebärdensprache. Nur so konnte eine erfolgreiche Wissensvermittlung erfolgen. Das war ein bedeutender Denkanstoß für viele Anwesende!
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Übersetzung: Britta Harms und Michaela Matthaei